Warum wir das Dunkle lieben – und was das über uns verrät

02.11.2025

Jedes Jahr, wenn die Tage kürzer werden und die Schatten länger, zieht uns das Dunkle auf geheimnisvolle Weise an. Gruselfilme erleben Hochkonjunktur, Kürbisse leuchten wie kleine Warnlichter gegen die Nacht, und irgendwo zwischen Schauer und Faszination passiert etwas Seltsames: Wir genießen es, uns zu fürchten.

Aber warum eigentlich?

1. Das Dunkle als Spiegel unserer Seele

Psychologisch gesehen ist das Dunkle kein Feind. Es ist ein Teil von uns.

Carl Gustav Jung nannte diesen Anteil den "Schatten" – all das, was wir in uns selbst nicht sehen wollen: Wut, Neid, Angst, Begierde, Machtlust. Wir schieben ihn beiseite, sperren ihn weg, tun so, als wäre er nicht da. Doch das Verdrängte bleibt lebendig. Es klopft an – leise oder laut – und will gesehen werden.

Halloween ist wie ein maskiertes Ritual dieses Wiedersehens. Wir setzen uns Masken auf, um unbewusst das abzulegen, was wir sonst ständig tragen: die Maske der Angepasstheit.

"Wer sich seines Schattens bewusst wird, gewinnt eine unerschöpfliche Quelle an Lebenskraft." – C.G. Jung

Das Dunkle zu umarmen heißt also, sich selbst vollständiger zu sehen.

2. Die Lust am Grusel – ein evolutionäres Trainingslager

Neurowissenschaftlich betrachtet passiert beim "sich Gruseln" etwas Faszinierendes:

Unser Körper reagiert auf Horror wie auf reale Gefahr – das Herz schlägt schneller, Adrenalin steigt, die Sinne schärfen sich. Doch gleichzeitig weiß das Gehirn: Ich bin sicher.

Diese Kombination aus Erregung und Kontrolle wirkt wie ein biochemisches Fitnessstudio für Mut.

Eine Studie der University of Turku (2020) zeigte, dass Horrorfilme die Fähigkeit verbessern, mit Stress umzugehen. Menschen, die regelmäßig kontrolliert Angst erleben – etwa durch Filme oder 

Mit anderen Worten: Wer sich in sicherem Rahmen fürchtet, trainiert emotionale Resilienz.

Halloween ist also nicht kindisch – es ist angewandte Neuropsychologie.

3. Dunkelheit als Ursprung von Erkenntnis

Philosophisch betrachtet ist das Dunkle nicht das Gegenteil von Licht – es ist seine Voraussetzung.

Ohne Dunkelheit kein Kontrast, keine Tiefe, keine Wahrnehmung von Licht.

In der Mystik vieler Traditionen – ob taoistisch, christlich oder sufistisch – steht das Dunkle für das Unerkannte, das Potenzial, das Noch-Nicht-Gewordene.

Im Chaos des Unbewussten schlummert die schöpferische Kraft.

Wer die Dunkelheit meidet, meidet damit auch die eigene Transformation.

Oder, wie es der Philosoph Heraklit schon wusste:

"Die Dunkelheit ist die Mutter allen Lichts."

4. Unsere Sehnsucht nach Schatten

Vielleicht lieben wir das Dunkle, weil wir spüren, dass dort unsere Tiefe liegt.

In einer Welt, die ständig nach Licht, Positivität und Optimierung ruft, wirkt das Dunkle wie eine verbotene Ruhezone.

Es ist der Ort, an dem wir einfach sein dürfen – roh, ungeschminkt, echt.

Halloween erinnert uns daran, dass Lebendigkeit nicht nur im Hellen wohnt.

Sie entsteht im Wechselspiel. Zwischen Angst und Mut, Verlust und Neubeginn, Tod und Leben.

Das Dunkle macht das Licht erst wahr.

🌕 Fazit: Die Kunst, sich selbst zu umarmen – ganz

Wenn du das nächste Mal eine Kerze in einen Kürbis stellst, tu es bewusst.

Siehst du, wie das Licht durch die Dunkelheit tanzt?

Das bist du.

Dein Licht – geboren aus deiner Tiefe.

Denn nur wer die Nacht kennt, kann wirklich leuchten.